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Sturm über Kirchbühl


Wer den Frankenweg vom Zeyerntal hinauf zur Radspitze (678 m) wandert, gönnt sich die kleine Rast auf dem Kirchbühl (1323-1880) und genießt den Frieden an diesem beschaulichen Ort. Die hübsche Waldkapelle, im Jahr 1841 von Johann Grebner erbaut und heute von Josef Schmittdorsch aus Zeyern vorbildlich gepflegt, inspiriert zu stiller Einkehr. Fast nichts mehr erinnert an die Stürme, die über die ehemalige Ansiedlung in unmittelbarer Nähe zur Fränkischen Linie hinweggefegt sind. Verheerender Sturmwind von der Natur entfesselt und heftiger Wirbelwind von Menschen inszeniert. Der eine tobte über den Hochwald hinweg und hinterließ Chaos und Zerstörung, der andere brachte die Gemüter ganz schön in Wallung und endete schließlich wie das „Hornberger Schießen“.

 

Geschichtsschreiber und Heimatforscher berichten von absurden Religionsfehden und aufbrausenden Glaubenssstürmen, die sich damals über der fürstbischöflich-markgräflichen Grenzregion entluden und erzählen uns aus dieser Zeit die unglaubliche, aber wahre Geschichte:

 

Um das Jahr 1700 wohnten auf dem Kirchbühl zwei Bauern namens Wunder und Engelhardt. Sie lebten in Frieden nebeneinander, obgleich sie verschiedenen Konfessionen angehörten. Auch störte es dem Engelhardt vom oberen Hof nicht, dass er politisch zum hochfürstlichen Amt Wallenfels gehörte, aber als evangelischer Christ nach einem Vertrag von 1650 die kirchlichen Belange in Seibelsdorf zu suchen und dementsprechend die kirchlichen Stolgebühren an den Pfarrer dortselbst zu entrichten hatte. Nach der Gegenreformation versuchte die katholische Kirche ihre ehemaligen "Schäflein" wieder für sich zu gewinnen, während man auf der anderen Seite jeden Annäherungsversuch mit Argwohn begegnete.

Im Jahr 1705 war dem gut betuchten Bauern Hans Engelhardt die Ehefrau gestorben und da ein schmucker Bauernhof ohne fesche Bäuerin kaum denkbar ist, suchte der Wittwer nach einer neuen Verwalterin. Seine Wahl fiel auf die Nachbarstochter des Bauern Wunder vom unteren Hof. Die Hochzeit wurde auf den 25. August 1705 festgelegt. Die Trauung sollte in der katholischen Pfarrkirche "Sankt Leonhard" zu Zeyern stattfinden, im Gebiet des gefürchteten Vogtes Johann Georg Göppner zu Wallenfels-Anhalten.

 

Das jedoch erregte den Unmut des Seibelsdorfer Pfarrers, dem dadurch die "Accidenzien" für seine Pfarrei entgingen. Kurz entschlossen schrieb er mit dem Vogt Speckner zu Seibelsdorf einen Brief an die Hofratsstube zu Kulmbach mit der Bitte, man möge ihm siebzig Soldaten aus dem königlich-preußischen Verteidigungstrupp schicken, da die Eheschließung in Zeyern widerrechtlich sei und diese nötigenfalls mit Waffengewalt nach Seibelsdorf erzwungen werden müsse.

 

Der Markgraf von Kulmbach aber hielt diesen Vorschlag für wenig diplomatisch. Er ließ den Vogt anweisen, "fleißig Kundschaft zu tun und den Engelhardt mit Behutsamkeit ständig beobachten zu lassen. Möge man aber bemerken, dass sich die Braut vom unteren zum oberen Hofe begebe und sich dort aufhalte, so sollen beide ergriffen und nach Seibelsdorf geführt werden. Dort könne man sie verehelichen und es ihnen gestatten, im Wirtshause daselbst eine kleine Mahlzeit zu halten".

 

Am 24. August, also einen Tag vor der Hochzeit, meldeten Kundschafter dem Vogt Speckner, dass sich die Braut auf dem oberen Hof aufhalte. Der Vogt versammelte sogleich Musketiere aus Seibelsdorf, Waldbuch und Mittelberg, die unter seinem Kommando den Kirchbühl hinaufstiegen, sich im Wald verschanzten und den oberen Hof observierten. Doch groß war ihr Erstaunen, als sie gewahrten, dass dieser bereits mit hundert „Ausschüssern“ des Vogtes von Wallenfels besetzt war. Zum „Abtreiben“ der feindlichen Mannschaft hatte der Seibelsdorfer Vogt keinen Befehl und weil er „mit seiner schwachen Mannschaft zu schwach war“, zog er sich tiefer in den Wald zurück. Und das war gut so. Denn nicht nur die Wallenfelser Heeresmacht war aufmarschiert, sondern auch aus der Veste Rosenberg ob Kronach waren Truppen herbeigeeilt. Der Obrist höchstselbst mit einem Oberoffizier und dem Tambour waren auf hochfürstlichen Befehl von Bamberg mit sechzig Mann angerückt, nachdem der Wallenfelser Vogt dorthin gemeldet hatte, dass die Kulmbacher Dragoner vorhätten, den Hof des Engelhardt zu überfallen, die Hochzeitsgesellschaft zu verhaften und nach Kulmbach zu überführen.

 

Der Chronist erzählt weiter, dass der Bader, sprich "Boude" von Seibelsdorf beobachtet hätte, wie Soldaten von der Veste Rosenberg zudem mit Handgranaten bestückt gewesen seien. Er war als Spitzel ausgeschickt worden und „ungerupft durchgekommen“. Anders erging es dem harmlosen Dienstknechte Andreas Dehler, der seine Mutter in Bernstein besucht hatte. Er wurde als Kundschafter des Seibelsdorfer Vogts arretiert, als Schelm und Spion angerufen und im unteren Hof von drei Musketieren „schärfstens bewacht“. Auf dem gleichen Anwesen hielt sich auch der Bräutigam auf, der es trotz Rückendeckung nicht gewagt hatte, die Nacht in seinem oberen Hof zu verbringen. Den unschuldigen Knecht indes hätte man gewiss fortgeschleppt, wäre er nicht in der Dunkelheit „ausgebüxt“, als seine Wächter "den Schlaf der Gerechten schliefen".

 

Am Morgen des Hochzeitstages schickte man dem Pfarrer und dem Vogt von Seibelsdorf einen Boten mit der Nachricht, dass der Kirchbühl nach Zeyern gehöre und die Trauung dortselbst rechtmäßig sei. Wüssten sie es anders, so mögen beide kommen und das Gegenteil beweisen. Die Seibelsdorfer verwiesen ihrerseits auf den Vertrag von 1650, wonach der obere Hof nach Seibelsdorf "pfarre" und die Verehelichung zu Zeyern widerrechtlich sei. Der Bräutigam wurde eindringlich ermahnt, die Pfarrgebühr ohne Widerrede nach Seibelsdorf zu entrichten. Falls er dieser Aufforderung nicht nachkomme, könne er sich nur dadurch schützen, dass der Vogt von Wallenfels den oberen Hof das ganze Jahr über mit seinem „Ausschuß“ besetzt halte.

 

Nachdem die äußere Sicherheit gewährleistet war, zog am Nachmittag die Hochzeitsgesellschaft unter Begleitschutz den „Markgrafenweg“ hinunter nach Zeyern. Glockengeläut und Böllerschüsse kündeten weithin vom spektakulären Geschehen. Der kirchliche Hochzeitszeremonie unter dem ehrwürdigen Schutze von Sankt Leonhard folgte eine opulente Hochzeitsfeier mit Musik und Tanz im nahen Wirtshaus. Als man im Morgengrauen die Eheleute endlich wohlbehalten nach Kirchbühl zurückbrachte, verließen auch die letzten Soldaten der „Bamberger“ und „Brandenburger" den denkwürdigen Ort.

Der Vogt von Seibelsdorf allerdings sah sich veranlasst, dem Markgrafen zu berichten, dass die Wallenfelser Soldaten beim Abzug unbefugt den Vichtacher Berg und das Brandenburger Gebiet benutzen. Dieser „Frevel“ müsse neben der widerrechtlichen Hochzeit als „Attentat“ bestraft werden. Von Brandenburger Seite stellte man ob dieser "gravierenden Fehltritte" dem Engelhardt eine Rechnung über sechs Gulden (Florentiner oder auch Florin).

 

Auf Bamberger Seite ging man allerdings gar nicht mehr auf die Forderungen ein. Auch nicht der Engelhardt, obwohl er immer wieder gewarnt und unter Druck gesetzt wurde. Letztendlich musste der eigenwillige "Advocatus" Speckner seine Ohnmacht eingestehen und erkennen, dass der aufsässige Engelhardt sich hüten werde, jemals wieder Seibelsdorfer Terrain zu betreten. Ihn jedoch auf Zeyerner Flur zu überfallen, um die Goldtaler einzutreiben, dazu fehlte ihm der Mut. Zu gut kannte er seinen "hochgeehrten, lieben und getreuen Nachbarn", den draufgängerischen Vogt und Gegenspieler Johann Georg Göppner zu Wallenfels-Anhalten, "mit dem nicht gut Kirschen essen war“.

 

So erinnert die Geschichte an das Schauspiel „Die Räuber“ von Friedrich von Schiller: „Da ging’s aus wie’s Schießen zu Hornberg, und mussten abziehen mit langer Nase“ (1. Akt, 2. Szene) und so endet die Geschichte wie so oft im richtigen Leben: "Alles war nur Schall und Rauch".


Alexander Grahl